Paneldiskussion

Rassismus, migrantische Selbstorganisation und der Mauerfall

Diskussion mit Garip Bali (Berlin), Rashid Jadla (Erfurt), Angelika Nguyen (Berlin) & José Paca (Erfurt), Moderation: Ceren Türkmen ( VBRG)

Einen Mitschnitt der Diskussion gibt es hier:

Folge #11: Vor Ort – gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt. Die Podcastserie von NSU Watch und VBRG.

Zeitzeug*innen konfrontieren die nationale Erinnerungskultur und die Geschichtsschreibung mit rassistischer Gewalt der Wendejahre

Geschichte wird in der Gegenwart geschrieben. Sie ist deshalb nicht nur Teil des kollektiven Gedächtnisses, sondern auch der kollektiven Erinnerung in der Gegenwart. Die vielen Erzählungen über das Wendejahr 1989 und den Mauerfall reihen sich in einen dominierenden Erzählstrang um den Mythos der friedlichen und nationalen Wiedervereinigung ein. Aus migrantischer, antirassistischer und antifaschistischer Perspektive gleicht der nationale Mythos einem Einheitstaumel mit langem Schatten, in dem das Ausmaß des Nationalismus, Neonazismus und Rassismus der Wendezeit in einem nicht vermessenen Dunkelfeld verzerrt wird. Dieses Dunkelfeld hat ein verzerrtes Selbstverständnis „Deutschlands“ über die wiedervereinte Nation auf Kosten der Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt hergestellt.

Das Diskussionspanel am 8. Oktober 2020 lädt Gäste ein, die als Zeitzeug*innen die Wendejahre aus migrantischen und antirassistischen Perspektive erzählen werden. Ihre antirassistischen und antifaschistischen Erinnerungen bilden die Gegengeschichte zum nationalen Einheitstaumel. Sie berichten mit ihren Perspektiven auf die Wiedervereinigung von der neuen Dimension neonazistischer Gewalt und ihrem Widerstand, und konfrontieren somit sowohl das kollektive Gedächtnis als auch in letzter Instanz die Geschichtsschreibung mit dem auf der Hand liegenden Rassismus der Wendejahre.

Die Teilnehmenden

Rashid Jadla

Rashid Jadla wurde 1978 in Erfurt geboren. Er ist Sohn eines algerischen Vertragsarbeiters und einer deutschen DDR-Bürgerin. Auf gegenuns.de erzählt er von Ausgrenzung, Rassismus und den diskriminierenden Erlebnissen, die er bereits als Kind erleben musste. Er erzählt aber auch von gelebter Solidarität. Rashid beginnt sich nach der Maueröffnung mit anderen Menschen, die auch von Rassismus betroffen sind, zu organisieren und findet bald Kraft im Hip-Hop. Er organisiert Hip-Hop-Partys und schafft so sichere Räume, in denen migrantische Jugendliche nicht, wie in ihrem Alltag, ständig mit Diskriminierung konfrontiert sind. Rashid rappt bis heute unter dem Namen „Sonne Ra“. Demnächst erscheint sein neues Album „Superposition“, das man ab sofort vorbestellen kann.

José Paca

José Paca wurde 1961 in Angola geboren. Seit seinem 18. Lebensjahr arbeitete er für die Regierung, reiste als Verwaltungsbeamter durchs Land. Bald wird ihm ein Angebot zum Aufenthalt in der DDR gemacht, sodass er 1989 nach Erfurt kommt, ein paar Monate, bevor die Mauer fiel. In gegenuns erzählt er davon, wie sich die Vorstellung über die DDR als Staat, in der jede*r Bürger*in wohl lebte, nicht bewahrheitet hat. Er erzählt von menschenverachtenden Verhalten, das ihm entgegengebracht wurde und dem sich damit entladenden Rassismus. Bald erkennt José die Notwendigkeit der Vernetzung migrantischer Personen und die Stärke, die daraus wächst. Er fängt an, Fußballturniere für migrantische Jugendliche, zu veranstalten, denn er kennt die Anfeindungen, denen sie alltäglich ausgesetzt sind. Für ihn sind die Jugendlichen wie seine eigenen Kinder, er wird ein wichtiger Mentor für Rashid und andere. José Paca ist langjähriger Vorsitzender des Ausländerbeirats in Erfurt, Vorsitzender des Vereins „Afro Sport“, welcher antirassistische Fußballturniere organisiert und setzt sich heute noch unermüdlich für Menschen mit Rassismuserfahrungen ein.

Angelika Nguyen

Angelika Nguyen ist geboren und aufgewachsen in der DDR als Kind deutsch-vietnamesischer Eltern, studierte Filmwissenschaft an der Filmhochschule Babelsberg, drehte 1991 den Dokumentarfilm Bruderland ist abgebrannt über die Lage vietnamesischer Migrant*innen in Ostberlin, schrieb 2011 ihren Essay Mutter, wie weit ist Vietnam? über den Rassismus in ihrer Kindheit, erschienen in dem Sammelband Kaltland im Rotbuchverlag. Sie ist tätig als Autorin, Referentin und Filmjournalistin, schreibt für ZEIT-Online, Jalta, telegraph.cc, WerkstattGeschichte. Sie ist Mitglied bei korientation e.V., einem Netzwerk für asiatisch-deutsche Perspektiven und im Kuratorium des Hauses für Demokratie und Menschenrechte.

Garip Bali

Garip Bali lebt seit Anfang der 1971 in Berlin. Seine Eltern migrierten Ende der 1960er-Jahre als kurdisch-alevitische Gastarbeiter*innen nach Berlin. Er studierte Elektrotechnik an der Technischen Universität Berlin und engagierte sich bereits seit den 70ern/80ern im „Arbeiter- und Jugendverein aus der Türkei“. Er war aktiv in der Antifa Gençlik, eine selbstorganisierter Zusammenschluss migrantischer Menschen, die sich 1989 gründete. Sie blockierten kollektiv Straßen, um sich vor Nazis zu schützen und verteidigten somit ihr Recht auf ihre eigene Existenz und die ihrer Freund*innen und Familie. Anfang der 80er Jahre gründete u.a. Garip den Verein ADA, der sich mit Antirassismus und Antifaschismus auseinandersetzt. 2004 schloss sich der Verein mit anderen Gruppen aus ähnlichen Kontexten zum „Allmende – Haus alternativer Migrationspolitik“ zusammen, wo er bis heute aktiv ist. Sie organisieren verschiedene Kampagnen, Veranstaltungen und Aktionen zu linken Themen und sind Herausgeber der Zeitschrift „Inisiyatif – gegen Faschismus und Rassismus“ auf Türkisch/Deutsch.

Organisiert von:

VBRG e.V., ezra – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen & Aktionsbündnis – Antira (ABA)

Der VBRG setzt sich dafür ein, dass Opfer rechter Gewalt bundesweit Zugang zu professionellen, unabhängigen, kostenlosen und parteilich in ihrem Sinne arbeitenden Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen erhalten. Derzeit sind 14 unabhängige Beratungsstellen für Betroffene rechts, rassistisch und antisemitisch motivierter Gewalt aus zwölf Bundesländern im VBRG e.V.  zusammengeschlossen. Der VBRG e.V. wird durch das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen, und Jugend im Rahmen des Programms „Demokratie leben!“ gefördert sowie durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.

ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.